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HEINRICH J. JARCZYK

"Die Welt als Mikrokosmos"

Eine Ausstellung zum 80. Geburtstag des Künstlers

Städt. Galerie "Villa Zanders"
Bergisch Gladbach

20. Februar - 03. April 2005

 

Nach der Ausstellung im Haus des Deutschen Ostens, München, von November 2004 bis 21.Januar 2005, wurde die "Die Welt als Mikrokosmos" am 20. Februar 2005 im Städt.Museum, "Villa Zanders" Bergisch Gladbach eröffnet.

In dieser Retrospektive werden 75 Arbeiten gezeigt, davon 30 Radierungen sowie 5 Ölgemälde mit historischen Themen. Ende 2005 wird die Ausstellung im "Schlesischen Museum zu Görlitz" zu sehen sein.

Zur Vernissage in der "Villa Zanders" hielt Dr. Hans-Hermann Cramer, Köln, die nachfolgende Rede mit dem Titel:

Die Welt als Mikrokosmos

Wie wird ein geborener Künstler zum Naturwissenschaftler und kann ein gestandener Naturwissenschaftler gleichzeitig Künstler sein? Das ist die Frage, die fast reflexartig kommt, wenn man sich mit Heinrich Jarczyk befasst. Lassen Sie mich, der ich vom Beruf her sein Kollege, von der Generation her sein Schicksalsgenosse und vom Herkommen her sein Landsmann bin, eine Antwort versuchen.

Zunächst: Biologie und Künstlertum.
Jeder Biologe lernt im ersten Semester, dass die Wissenschaft Phänomene des Lebens erforschen und beschreiben könne, aber nicht sagen kann, was Leben ist. Sie sagt damit ausdrücklich, dass es außerwissenschaftliche Näherungsmöglichkeiten gibt. Ich versuche in Gesprächen immer, dieses Faktum mit dem einleuchtenden Beispiel der Rose zu erklären. Sie ist eine Pflanze und damit ein Objekt der Biologie. Die kann die Anzahl der Blütenblätter, Staubgefäße, der Standortansprüche, des Nährstoff- und Lichtbedarfes und vieles andere erfassen. Aber die Rose ist eben auch etwas ästhetisch Schönes, eben eine Blume, sie löst optisch und durch ihren Duft Wohlgefallen beim Menschen aus, sie kann, als rote Rose zum Hochzeitstag, ein Symbol der Liebe sein und sie kann, transzendent gesehen, die Frage aufwerfen, was es wohl bewirkt hat, dass es etwas derart Vollkommenes gibt. Diese Vielschichtigkeit der Kategorien ist jedem ernsthaften Biologen geläufig. Ist es also ein Spagat zwischen Naturwissenschaft und Kunst oder gar eine Art Gespaltenheit, wenn ein künstlerisch begabter Biologe sich dem Zentralthema, dem Leben, von allen Seiten zu nähern versucht?

Ganz selbstverständlich ergeben sich aus dem Geschultsein in beiden Metiers Wechselwirkungen. Leben ist für den Biologen immer an Struktur gebunden. Sie sehen das in dieser Ausstellung in zahlreichen Blättern, in denen Jarczyk die Faszination der Struktur festhält - und das sind ebenso Kathedralen wie zoologische Objekte. Aber es ist gleichzeitig eben die Ästhetik der Struktur. Wer je mikroskopiert hat, weiß das. Warum sind die mikroskopisch kleinen Rädertierchen, die Radiolaren, so unglaublich schön? Der Wissenschaftler muss passen, aber der Künstler kann es umsetzen und festhalten.

Da sind wir bei einer zweiten wichtigen Vokabel. Biologie hat es immer mit Abläufen zu tun. Es ist alles im Fluss. Insofern erfasst der Biologe stets Zustände innerhalb von Abläufen. Jarczyk weiß das. Und da eine der wichtigsten Berufsvoraussetzungen des Biologen das exakte Beobachten ist, fließt diese Unbestechlichkeit des Sehens überall in sein Werk ein. Da werden Details auf einmal wesentlich, plakativ wesentlich Erscheinendes tritt zurück.
Aber noch etwas: Jeder Naturwissenschaftler wächst damit auf, dass das, was er tut, nachprüfbar, reproduzierbar sein muss. Das verlangt äußerste Exaktheit in der Methodik. Reproduzierbarkeit ist das Stichwort. Alles das, Struktur, Abläufe (oder Entwicklung), scharfes Beobachten und die Forderung nach Reproduzierbarkeit ist in Jarczyks Arbeiten eingeflossen. Denn die Genauigkeit des Hinsehens und der Dokumentation erfordern Geduld. Mal eben genialisch etwas hinhauen - das läuft nicht. Genie ist bekanntlich auch Fleiß. Und da mag unmodern sein, wer noch Radierungen macht, aber Naturwissenschaftler arbeiten eben genau, reproduzierbar, nachvollziehbar. Beliebigkeit ist nicht ihre Sache.

Wenn ich auf mein Paradigma von der Rose zurückgreifen darf: Ich habe über die ästhetische Erlebnisfähigkeit von Naturwissenschaftlern schon gesprochen. Aber im Hinblick auf Jarczyks Arbeiten möchte ich doch noch etwas hinzufügen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Biologen gibt, der die Natur nicht schließlich als ein Wunderwerk ansieht - in allen ihren Facetten. Und das drückt sich bei Jarczyk auch und besonders in seinen Landschaftsbildern aus, den Ölgemälden und Aquarellen. Sie hätten eigentlich zur Gesamtschau dazugehört. Schade, dass der Platz nicht reichte.

Natürlich könnte man die künstlerische Entwicklung in der jetzt eröffneten Ausstellung auch als "Blätter zur Autobiographie" darstellen. Ich fasse diese generations- und herkunftsbedingten Aspekte zusammen, die ich mit Heinrich Jarczyk Stück für Stück teile: Das Aufwachsen in einer vom Elternhaus her geordneten Welt, die humanistisch und religiös geprägt war, in einem besonderen Kulturraum, auf den ich noch zu sprechen komme. Dann das Hineingeworfensein in den Krieg; Frontsoldat, schwere Verwundungen, Gefangenschaft, Aufbruchstimmung danach, auch Enttäuschungen und Frustration darüber, wie viel davon zerbröselt ist und zunehmende Skepsis hinsichtlich der Zukunftsperspektiven. Das alles kann man, wenn man sich nur darauf einlässt, hier in der Ausstellung sehen. Da erzählen auf einmal Sachen, pure Dinge ganze Geschichten. Mich hat aus den Skizzenbüchern der Kriegszeit eine Studie besonders berührt, die der Gefreite Jarczyk über seine Knobelbecher, das waren die soliden, unverwüstlichen uneleganten Soldatenstiefel der Landser, angefertigt hat. Das sind eben nicht nur Stiefel, sie berichten, wenn man weiß, worum es geht, von frustrierenden Märschen, Blasen an den Füßen, aber auch von Dankbarkeit des Trägers an zuverlässige Kameraden mit humorigen Augenzwinkern: Euch beide und mich kriegt man so leicht nicht unter!

So wie dieses Blatt, als ein Beispiel für viele, Geschichten erzählt (übrigens: da lässt der alte Adolph von Menzel grüßen!), behandeln andere Werke, vor allem die großen Ölbilder Geschichte in einer hintergründigen Zusammenschau, die gleichzeitig Zusammenbruch, Aufbruch und die Entartung ins Grausige interpretieren. Da ist das Berlinbild von der Öffnung der Mauer mit allem, was man als Zeitzeuge aus dieser Generation dabei assoziiert: Die SA-Kolonnen, die K.Z.s, die Trümmerlandschaften, der Stacheldraht, der Vopo in einem Loch im Brandenburger Tor und die befreiten Menschen, die an und auf der Mauer tanzen und sich umarmen. "Wahnsinn" möchte man da mit der Vokabel dieser Stunde ausrufen. Oder das großartige Europa-Triptychon, das den Weg von der blutigen Zerrissenheit innerhalb der gemeinsamen Kultur zur Vielfalt in der Gemeinsamkeit mit all ihrer Symbolträchtigkeit reflektiert. Oder das tief skeptische Bild von der Droge Forschung, mit Dolly , dem Klonschaf und den geklonten menschlichen Stammzellenembryonen in Serie. Alles nur Andeutung, nichts Plakatives. Ich sehe in diesen fast ins mystische hinüberrechenden Bildern ein Stück von schlesischem Sinniertum, vom bildhaften Fabulieren, vom Blick durch die Schusterkugel des Schlesiers Jakob Böhme. Kein Wunder, denn dieser Landstrich ist, historisch gesehen, ein Produkt aus der Schnittmenge dreier Kulturkreise, des slawischen, des böhmisch-österreichischen und des deutschen, aus preußisch-deutschen. Die beste Darstellung dieser Verflochtenheit und ihrer Resultate ist im Jahre 2002 in Englisch geschrieben und stammt von dem großen Historiker Norman Davies. Sie heißt: "Microcosm". Vielleicht ahnen Sie, nach allem, was ich mit Worten zu skizzieren versucht habe, warum diese Ausstellung: "Die Welt als Mikrokosmos" heißt. Ich wünsche Ihnen einen guten makroskopischen Blick für den hier vor Ihnen ausgebreiteten Mikrokosmos.


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Erstellt 1999-2012 von Alexander Sparkowsky, Berlin
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